Team Tingelhoff

Paralympics

LEISTUNGSSPORTLER IM ROLLSTUHL. Bernd Janssen berichtet uns von seinen Erlebnissen bei den Paralympics
Bernd Janssen
Bernd Janssen

Bernd Janssen hat sich, anlässlich der diesjährigen Paralympics, für ein Interview mit uns Zeit genommen und uns in unserer Zentrale besucht.

Er hat bereits zwei Mal selbst an den paralympischen Spielen teilgenommen.
2000 in Sydney und 2004 in Athen hat er in der deutschen Rollstuhl-Rugby Nationalmannschaft um die Medaillen gekämpft.
Er erzählt uns seine Geschichte und seine Erfahrungen durch das Rollstuhl-Rugby.

Durch einen Autounfall, kurz vor seinem 20. Geburtstag, hat sich sein Leben schlagartig geändert. Diagnose: Querschnittslähmung – Tetraplegie.
Vom gelernten Koch und der Zeit bei der Bundeswehr musste er sich, nach einer langen Zeit im Krankenhaus und in einem Reha-Zentrum, Zuhause neu auf sein Leben einstellen.

Ihm war sehr schnell bewusst, dass es ein Unfall mit weitreichenden Folgen war, doch eine gewisse Hoffnung blieb lange bestehen. Die Ärzte machten eine Reihe von Tests, doch je länger das Ganze dauerte umso deutlicher wurde Bernd das Ausmaß. Nicht mehr laufen zu können wurde zum Dauerzustand. Wegen des Autofahrens hat Bernd sich nie wirklich Sorgen gemacht, nach seinem Unfall wollte er schnell wieder hinter das Steuer, nur die erste Fahrt nach dem Unfall war ein gewisses Erlebnis.

„Und irgendwann kam der Tag X, in der Reha, wo ich nur der Beifahrer war. Da sind wir zu dritt mit den Krankengymnasten weg gefahren und meine Wahrnehmung war zudem Zeitpunkt noch richtig gestört. Dann ist die Krankengymnastin nur angefahren mit dem Auto, also grade mal 20 km/h höchstens, da habe ich zu ihr gesagt „Fahr doch bitte nicht so schnell.“ (lacht). Also das war total verrückt. Und heutzutage, ich bin draußen auf den Autobahnen unterwegs, also ich bin ein flotter Fahrer.“

Nachdem seine Zeit bei der Bundeswehr endete, musste Bernd sich Gedanken um seine Zukunft machen und neue berufliche Wege einschlagen. Er schulte zum Industriekaufmann um, heute arbeitet er zufrieden als Vertriebsmitarbeiter im Außendienst bei der TRV Technik und Reha Vertriebs GmbH. Sein Auto hat keine Sonderausstattung, lediglich Automatik und Handgas.

In Bezug auf Freizeitaktivitäten hat sich für Bernd im Prinzip nichts wirklich verändert, er geht ins Kino, Essen, in den Biergarten, treibt Sport und unternimmt sonst alles worauf er eben Lust hat. Sportlich ist er nach wie vor aktiv, er ist Leistungssportler. Ohne Rollstuhl wäre er das wahrscheinlich nicht geworden und hätte nie an so großen sportlichen Events, wie den paralympischen Spielen, teilgenommen. Doch der Rollstuhl muss erstmal akzeptiert werden.

„Vielleicht am Anfang, sich erstmal der Öffentlichkeit im Rollstuhl zu zeigen. Das war so eine Hemmschwelle, mal aus dieser geschützten Räumlichkeit des Reha-Zentrums raus, mit dem Krankengymnasten, die dann gesagt haben „so jetzt üben wir mal Bordsteinfahren“. Mein erster Blick ging erstmal raus aus dem Reha-Zentrum, links und rechts geguckt, ob da nicht einer ist, der mich sehen könnte. Also das war blöd. Aber mittlerweile, also pff, ich sehe den Rollstuhl nicht mehr.“

Zum Rollstuhl-Rugby kam er durch Dr. Horst Strohkendl, den „Rollstuhl-Papst“, wie er ihn mit einem Augenzwinkern nennt. Kurze Erklärung zu Rollstuhl-Rugby:
Zwei Mannschaften à 4 Spieler spielen gegeneinander (dabei dürfen max. 7 Punkte – eingeteilt nach Behinderungsgrad der Mitspieler auf dem Feld sein). Ziel ist es einen Volleyball über das Spielfeld, in der Größe eines Basketballfeldes, in den gegnerischen Torraum, Key genannt, zu befördern. Der Torraum ist durch zwei Hütchen abgesteckt, durch die mit dem Ball gefahren werden muss. Gespielt werden 4 x 8 Minuten. Sieger des Spiels ist, wer am Ende der Spielzeit die meisten Punkte hat.

Bereits in der Reha nutze er das Sportprogramm des Kölner Rollstuhlsports. Es begann mit Rollstuhl-Basketball. Dafür benötigt man jedoch optimaler Weise vollständige Fingerfunktionen, die ein Tetraplegiker so nicht mehr hat. Dann versuchte er sich im Rollstuhl-Tischtennis, bis besagter Doktor ihn auf eine „neue Sportart“ aufmerksam machte und der Trainer sein Talent direkt erkannte.

„Habe ich ihm noch gesagt „Horst, lass mich mit dem Zeug in Ruhe, da habe ich kein Bock drauf.“ (lacht). Dann habe ich irgendwann mal so ein kleines Turnier mitgespielt, aber noch mit meinem Basketballstuhl. Der damalige Trainer, der hat gesagt „Du hier beim Rugby. Ich kann dir eins sagen, beim Basketball bist du irgendeine Nummer, da wirst du nichts erreichen, beim Rugby wirst du international spielen, das heißt Nationalmannschaft.“ Und der Sport an sich hat mir auch so viel Spaß gemacht, weil halt, ja, VOLLKONTAKT. Da geht es ab, da wird nicht gebremst, da wird draufgekachelt. Und da wurde ich „infiziert vom Rugby-Fieber“ und das war 1996.“

Und so nahm seine sportliche Reise seinen Lauf. 1997 war er bereits Teil der Nationalmannschaft und spielte seine erste EM (Europameisterschaft). 2000 fuhr er mit der deutschen Nationalmannschaft nach Sydney zu den paralympischen Spielen, ein Erlebnis was Bernd niemals vergessen wird. In Australien haben behinderte Sportler einen anderen Stellenwert und auf einmal war er ein kleiner Star, wurde nach Autogrammen und Fotos gefragt.

„Einfach WOW, ja ich glaub das ist die Beschreibung schlecht hin „WOW“. Das was man ja vorher schon von den olympischen Spielen gesehen hat im Fernsehen, die ganzen Spielstädten und so und auf einmal sieht man sie live vor sich (…) Eine irre Zeit, also das wird immer in meinem Kopf bleiben. (…) Vor allem in Australien dann zu spielen, vor Publikum. Wenn wir hier zum Beispiel ein Spiel haben in einer Turnhalle, dann kommen mal vielleicht 20 Leute, davon sind 15 Verwandte oder Freunde und dann haben wir auf einmal in einem Dom gespielt vor 8.000 Leuten. Da geht dann einmal Gänsehaut den Rücken hoch und runter. Man wird einzeln aufgerufen, die Nationalhymne gespielt und woah irre. Man versteht sein eigenes Wort nicht mehr, das war schon was.“

Im Flieger ging es für die Teams nach Australien, ausgestattet mit dem Gepäck und den Sportklamotten der Kollektion für die deutschen Athleten. Dann ging es vom Flughafen in das olympische Dorf und man lebte zusammen mit den anderen Nationen und traf auf den ein oder anderen „Star“.

„Das Flair war einfach irre, richtig schön. Es ist ja ein großes Happening. Teilweise trifft man auf Stars, zum Beispiel aus der Rollstuhl-Basketball-Szene. Da gab es zu der Zeit so Überflieger aus Kanada oder den USA, die hat man dann mal Live gesehen, da stand man dann schon mal vor und dachte „wow, so sieht der in Wirklichkeit aus“ und hat ihn dann auch mal spielen sehen, das war schon klasse.“

Deutschland hat sich 2000 und 2004 über die erfolgreiche Teilnahme an der EM für die paralympischen Spiele qualifiziert. Das war bereits ein riesen Erfolg für das deutsche Team. Nach den Paralympics nahm Bernd noch an der EM 2007 in Finnland teil, das Ende seiner Nationalmannschaftskarriere.

„Wie wir in Sydney abgeschnitten haben? Wir haben dazugelernt (lacht).“
„In Athen waren wir einen Platz besser, glaube da sind wir 7. geworden (lacht).“

Nationalspieler sein, ist mit Qualen verbunden und manchmal auch nicht ganz gesund, erzählt uns Bernd mit einem Grinsen. Vor allem für die Schultern sei es eine zusätzliche starke Belastung. Zudem kommt der zeitliche Aufwand hinzu. Das Netzwerk des Rollstuhl-Rugby hat sich in den letzten Jahren zwar stark entwickelt, dennoch ist es möglich, dass ein Spieler einige Kilometer bis zur Trainingsstädte zurücklegen muss. Das „kleine Übel“ ist Bernd immer gerne für den Sport eingegangen. Seit der Zugehörigkeit zur Nationalmannschaft kamen noch weitere Termine und Fahrten hinzu. Freistellungen für die Nationalmannschaft gab es nicht, man hatte zwei Belastungen in zwei Teams zur selben Zeit. Zur Mannschaftsleistung auf nationaler Ebene kam die auf internationaler Ebene hinzu und man musste ein hohes Leistungsniveau halten.

Heute ist Bernd noch sehr erfolgreich auf nationaler Ebene unterwegs, er spielt in der 1.Bundesliga. Er ist ein Offense-Spieler (Angriffsspieler) mit Leidenschaft. Sein maßgefertigter Rollstuhl ist kurz und bietet so wenig Angriffsfläche wie möglich. Er vergleicht seinen Rollstuhl mit einem Autoscooter, leichte Verkleidung rundherum schützen den Spieler und der Rollstuhl muss so einiges aushalten können. Denn Rollstuhl-Vollkontakt ist erlaubt und notwendig, Körperkontakt ist strengstens verboten. Die Defense-Stühle der Verteidigungsspieler sind länger und haben einen Rammbügel. Sie versuchen den Gegner vor dem Passieren des Keys abzuhalten.

Bernds Körper ist an den Rollstuhl geschnallt, er hat Gurte um die Beine und den Oberkörper, so dass wenn man umfällt, man einfach wieder aufgehoben werden kann. Zusätzlich tragen die Spieler Handschuhe, für mehr Gripp und nutzen Kleber. Bei den Spielen darf man nicht zimperlich sein und bekommt auch schon mal was auf die Hände aber ernsthafte Verletzungen sind eher die Seltenheit.

Bernd würde sich wünschen, dass das allgemeine Interesse mehr auf den Behindertensport gerichtet wird, wobei schon eine deutliche Steigerung im letzten Jahrzehnt zu erkennen ist. Der Sport hat Bernd über eine schwere Zeit hinweggeholfen und ihm eine unglaubliche Möglichkeit geboten.

„Ich habe die Welt gesehen, ja, dass hätte ich ohne Rollstuhl-Rugby nie. Ich habe Australien, die USA, Kanada, Finnland gesehen. Es war schon schön. Das war eine tolle Zeit. Und es war genau das Richtige, was ich gemacht habe. Ich würde es bereuen, wenn ich es nicht gemacht hätte. Das war eine schöne Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Mit allem was dazu gehört, auch die Qualen und so. Aber es war irre und schön.“

Er selbst hat in dem Reha-Zentrum, durch einen Betreuer, der selbst im Rollstuhl saß, einen Anstoß bekommen nicht aufzugeben und wünscht sich das auch für andere Betroffene.

„Das Leben geht weiter. Du kannst alles machen. Lass dich nicht hängen, die Welt dreht sich weiter, mit oder ohne dir, aber viel schöner mit dir!“

Das Leben endet nicht im Rollstuhl, es fängt erst an und verändert einiges aber es muss „Klick im Kopf machen“. Auch für Angehörige ist es ein Schicksal, welches vermeintlich schwierig zu stemmen ist, doch man darf die Betroffenen nicht „verhätscheln“ meint Bernd, damit sei keinem geholfen.

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