Ganzbeinorthesen mit mikroprozessorgesteuerte Systemkniegelenken zählen mit zum Besten, was derzeit im Bereich der Orthesenversorgung auf dem Markt erhältlich ist. Sie ermöglichen es Patienten, wieder länger, besser und sicherer zu gehen, verschaffen ihnen ein möglichst rundes Gangbild und sorgen für mehr Mobilität im Alltag, zum Beispiel, wenn es um Aktivitäten wie Treppensteigen geht. Heute schauen wir uns an, wie solch eine Versorgung aussehen kann und was ein Anwender eines solchen Systems berichtet.
Von der Schiene zur Neuro-Orthese
Orthesen – früher auch archaisch-umständlich „Stahl-Lederapparate“ genannt – fristeten lange Zeit eine Art Schattendasein unter den orthopädischen Hilfsmitteln. Von der Fachwelt bisweilen eher stiefmütterlich behandelt, wurde mitunter sogar ihre Wirksamkeit infrage gestellt – dass viele Patienten und potenzielle Nutzer auch heute noch nicht über die Möglichkeiten, die Orthesen bei den unterschiedlichsten Krankheitsbildern bieten, Bescheid wissen, wundert da eher weniger. Selbst so mancher Arzt hat hinsichtlich moderner Orthesenversorgungen Nachholbedarf.
Dabei bieten Orthesen als medizinische Hilfsmittel, die zur Stabilisierung, Entlastung oder Korrektur von Körperteilen eingesetzt werden, einen klaren Nutzen und sind für so gut wie jede Indikation erhältlich. Sie unterstützen Gelenke und Muskeln, indem sie Bewegungen kontrollieren und die Heilung nach Verletzungen oder Operationen fördern. Immer individuell an den jeweiligen Patienten angepasst, finden sie Anwendung in der Orthopädie, Rehabilitation und bei chronischen Erkrankungen, um Mobilität und Lebensqualität zu verbessern.
Von der umständlich und unelegant wirkenden „Schiene“, die man vielleicht aus alten Filmen kennt, bis zur modernen Neuro-Orthese war es ein weiter Weg. Orthesen der neuesten Generation stecken oft voller anspruchsvoller Technologie – insbesondere mikroprozessorgesteuerte Systemkniegelenke sind echte High-Tech-Hilfsmittel, die einen großen Funktionsumfang bieten.
Beim „NEURO TRONIC“ des Herstellers Fior & Getz handelt es sich um solch ein Systemgelenk, das beim Bau einer Ganzbeinorthese zum Einsatz kommt. Es wurde speziell für den Bau maßgefertigter Orthesen mit Vollkontakt entwickelt und weist eine anatomische Formgebung auf, die eng am Bein anliegt. Das elektromechanische Kniegelenk ist dabei sehr klein und ermöglicht die Konstruktion einer Orthese in Leichtbauweise, die ein Gewicht von lediglich 1,2 bis 1,5 kg aufweist.
Für unseren zuständigen Orthopädietechniker die richtige Wahl für die Versorgung, die wir uns heute anschauen möchten: Thomas Schäfer, von Beruf selbst Medizintechniker, ist seit einem Unfall teilweise querschnittsgelähmt. Eine neue Ganzbeinorthese unter Beteiligung des NEURO TRONIC-Kniegelenks soll ihm helfen, zukünftig wieder mobiler und eigenständiger im Alltag unterwegs zu sein. Bei einer Ganzbeinorthese (im Fachjargon gerne auch als KAFO – englisch für „Kniee Ankle Foot Orthesis“ – bezeichnet) wird das Orthesengelenk auf Höhe des Knies eingesetzt – die Orthese an sich liegt am gesamten Bein an und wird am Ober- und Unterschenkel sowie am Fuß befestigt.
Den Alltag meistern mit partieller Querschnittslähmung
So auch bei unserem Kunden Thomas Schäfer. Der möchte eines Sonntags im Jahre 2015 an sich lediglich eine neue Waschmaschine installieren. Als beim Transport der Maschine die hierfür verwendete Sackkarre bricht und er mitsamt dem Gerät die Trepper herunterstürzt, zieht dies jedoch ungeahnte Konsequenzen nach sich.
Dabei hat er zunächst lediglich starke Schmerzen und kann sich noch einigermaßen gut bewegen, besucht sogar am Abend noch das Feuerwehrfest im Ort. „Nach dem zweiten Bier war hier aber Schluss, die Schmerzen waren zu stark. Das war am Sonntag“, berichtet er. „Montags bin ich dann zur Arbeit gefahren, obwohl ich weiterhin starke Schmerzen hatte.“ Mittags müssen Kollegen ihn aus seinem Firmenfahrzeug tragen. Im Krankenhaus wird ihm eine Spritze verabreicht. „Leider nicht an der Position, wo sie hätte verabreicht werden sollen.“
Zu Hause möchte er vom Sofa aufstehen und fällt prompt hin. Seine Beine versagen ihm den Dienst. Später am Tag stellen die Ärzte die Diagnose Querschnittslähmung. „Die Prellung durch den Sturz war sehr massiv. Im Krankenhaus hat man dann auf konservative Behandlungsmethoden gesetzt – also Maßnahmen der Rückbildung, medikamentöse Behandlung, man hoffte, das würde alles so abklingen.“ Dies stellt sich rückblickend als Fehler heraus: Durch die Prellung kommt es zu mehreren Bandscheibenvorfällen, nach drei Monaten sind die Nerven stark geschädigt. Nur eine OP kann jetzt überhaupt noch etwas ausrichten.
„Seither ist ein Bein gelähmt, wobei beide Nerven geschädigt sind und an schlechten Tagen auch das andere Bein betroffen ist. Im Bein verbleiben 15 bis 20 Prozent Muskelkraft. Die sensorischen Nerven sind ganz weg. Man könnte mir also ins Bein beißen und ich würde es nicht merken“, scherzt Thomas Schäfer.
Als Bewegungsmensch wurmt es ihn sehr, wenn er auf den Rollstuhl angewiesen ist. „Dann ist alles sehr beschwerlich. Ich möchte nicht im Rollstuhl sitzen und versuche, dass ich es irgendwie ohne ihn bewerkstelligen kann.“ Doch an manchen Tagen funktioniert dies nicht. Dann ist seine Frau gefragt und muss ihn beim Waschen und Anziehen unterstützen. „Die Orthese hilft da schon sehr und gibt mir mehr Eigenständigkeit.“ Auch für seinen Minijob, den er seit dem Unfall weiterhin bei seinem alten Arbeitgeber ausübt, bietet die Orthese eine gute Unterstützung – ein Job, der Thomas Schäfer wichtig ist: „Meine Firma hat mir da immer den Rücken gestärkt. Und so ein bisschen geistige Beschäftigung hilft. Auch die Tatsache, dass man merkt, dass man noch gebraucht wird, ist wichtig.“
Die Orthese trägt er immer, wenn sein Zustand es zulässt. „Auf den Monat gerechnet würde ich schätzen, dass ich an zehn Tagen die Orthese tragen.“ Wenn er sie trägt, dann den ganzen Tag, von morgens bis abends – der Tragekomfort einer solch modernen Orthese lässt dies ohne weiteres zu.
Auf die Idee, überhaupt eine Orthese zu nutzen, brachte ihn damals ein Professor während der Reha. „Die Orthese war sozusagen die Alternative zur Steifsetzung des Beins via OP. Und es hat funktioniert, wofür ich dem Professor sehr dankbar bin.“ Seither nutzt Herr Schäfer Orthesen des Herstellers Fior & Getz – und jetzt eben die neue, mikroprozessorgesteuerte Ganzbeinorthese, die unser Orthopädietechniker für ihn geplant hat.
High-Tech mit jedem Schritt: Features der NEURO TRONIC
Die Orthese reagiert dank ihrer Sensorik unmittelbar auf Veränderungen des Gangbildes, der Schrittlänge und der Schrittgeschwindigkeit und sorgt dabei jederzeit für höchste Sicherheit für den Patienten. Die Bewegungssensoren registrieren Position und Bewegung des Unterschenkels und signalisieren dem Gelenk, was es tun soll. „Ein besonderes Highlight dieser Orthesen ist der natürliche Wechsel vom Stehen zum Gehen“, erklärt unser Kollege. Im sogenannten Auto-Modus erkennt der in der Orthese verbaute Hochleistungs-Mikroprozessor, der die Gangdaten der Bewegungssensoren 400-mal pro Sekunde verarbeitet, den Wechsel vom Stehen zum Gehen in Echtzeit und schaltet das Systemgelenk entsprechend um. Das Knie wird in den Standphasen gesperrt und die Sensorik erkennt die Gangphase unabhängig vom Winkel. Diese „automatische Standphasensicherung“ verhindert Knieflexion in den Standphasen und ermöglicht eine freie Extension in der Schwungphase.
Der Orthopädietechniker kann die Sperrung und Entsperrung individuell anpassen. Stoppt der Patient, schaltet das Gelenk sofort zurück in den Stehmodus. So ist stets ein sicherer Stand gegeben. „Das Systemgelenk erkennt unbeabsichtigte Ausfallschritte im Stand und bleibt dann gesperrt“, so unser Fachmann. Auch ein dauerhaftes Entsperren des Systemgelenks ist aber ohne weiteres möglich, wenn bestimmte Aktivitäten oder Situationen es erfordern.
Ein leistungsstarker Akku stellt dabei sicher, dass dem Anwender nicht so schnell der Saft ausgeht. Und damit er auch bei schlechtem Wetter sorgenfrei unterwegs ist, sind Orthesengelenk und Steuereinheit spritzwassergeschützt nach IP44, sodass Aktivitäten bei Regen oder auch am Strand möglich sind.
Und da hört die High-Tech-Ausstattung des Systemkniegelenks noch nicht auf: Per Bluetooth kann das NEURO TRONIC auch per Smartphone oder Smartwatch bedient werden. Verschiedene Funktionsmodi können so nach Vorliebe des Nutzers über unterschiedliche Geräte gewählt werden – eine kostenlose User App macht’s möglich.
Völlig freie Hand hat der Patient dabei aber nicht – aus Sicherheitsgründen: „Wir als Orthopädietechniker haben über eine Experten-App noch mal die Möglichkeit, die Automatikfunktionen einzustellen – die Sicherheitsbedürfnisse und das Gangbild des Kunden stehen hier im Vordergrund.“ Schließlich möchte man nicht, dass grundlegend falsche Einstellungen vorgenommen werden, die im schlimmsten Falle der Sicherheit nicht zuträglich sind und auch allgemein den Nutzen der Orthese mindern.
Beratung, Versorgung und Erfahrung
So weit zu den Zahlen, Daten, Fakten – nun zurück zur Praxis: Zu beobachten, wie Thomas Schäfer mit seiner neuen Orthese wieder deutlich besser und runder laufen und sogar Treppen steigen kann, entbehrt nicht einer gewissen Faszination. Herr Schäfer zeigt sich durchaus begeistert: „Auch wenn mein Bewegungsbereich natürlich relativ eingeschränkt ist, kann ich mich aufrecht bewegen und einige Meter laufen.“ Eine Marathonstrecke wird er so wohl nie zurücklegen, aber der realistisch erreichbare Bewegungsradius ist letztlich auch eine Sache des Trainings. „So hundert, zweihundert Meter kann ich auf jeden Fall laufen. Ich bin froh, dass ich aus dem Rollstuhl überhaupt mal rauskomme. Und durch Training läuft es dann immer besser.“
Auch unser Orthopädietechniker ist zufrieden mit der Versorgung. Sollten weitere Justierungen notwendig sein, kann sich Thomas Schäfer immer an seinen Berater wenden. Ansonsten sehen sie sich definitiv für die regelmäßig anstehende Wartung der Orthese. Aber wie ist Herr Schäfer überhaupt auf das Sanitätshaus Tingelhoff gekommen?
„Tingelhoff ist natürlich ein Name – ich bin selbst aus der Branche und kannte die Firma schon. Hier im Umkreis gibt es sonst fast kein Unternehmen, das diese breite Palette an medizinischen Maßnahmen hat. Orthopädietechnik, also die Anfertigung von Orthesen und orthopädischen Schuhen und Co., das kriegt man ja alles hier.“
Dabei fällt nicht nur die technische Seite den Tingelhoffschen Verantwortungsbereich, auch die Kundenberatung rund um die Versorgung gehört dazu. „Beratungstechnisch sah es so aus, dass der Hersteller und Tingelhoff mich im Zusammenspiel beraten haben“, erzählt Thomas Schäfer. Auch bezüglich des Antrages auf Kostenübernahme – immerhin übernimmt die Krankenkasse im besten Falle die kompletten Kosten für die Orthese abzüglich eines Eigenanteils in Höhe von zehn Euro – fand eine entsprechende Beratung statt. In Herrn Schäfers Fall wurde die Kostenübernahme dann auch bewilligt. „Da ist mir ein großer Stein vom Herzen gefallen. Weil wenn man das privat bezahlen müsste, wäre das mit hohen Kosten verbunden. Klar, da steckt ja auch viel Arbeit drin. Aber da kann man sich dann auch fast ein Auto von kaufen“, fügt er lachend an.
Weitere Eindrücke rund um die Orthese hat Herr Schäfer für uns im Videointerview zusammengefasst.
Unsere Orthopädietechnik berät jederzeit gern rund um Ihre Orthesenversorgung. Kontaktieren Sie uns einfach über unser Formular oder per Mail an info@tingelhoff.de!